Andacht
Gesichter der Armut
„Ich hab‘ ja einen ganz tollen Job. Ich hab‘ nur mit Menschen zu tun, die mich mögen. Die Anderen gucken mich sowieso nicht an.“ Wolfgang heißt er, ist 60 Jahre alt und verkauft in einer Großstadt neben einem Aldi „Asphalt“, die Obdachlosenzeitung. Sein Lächeln ist etwas aufgesetzt. Man spürt, dass es ihm etwas ausmacht. „Selig sind die Armen, das gibt’s halt nur in der Bibel.“ Man hört dabei das Bittere in seiner Stimme. Inzwischen ist es aber ein ganzes Stück besser mit ihm. Er hat eine kleine Wohnung bekommen. Zwei Angler, die in der Nähe seines Schlafplatzes angelten, haben ihm geholfen, Sozialleistungen zu bekommen. Er selbst hatte nach seinem Absturz dazu keine Kraft mehr. Sein Tiefpunkt war, dass er aus seiner Wohnung raus musste. „Meine Entmietung“ nennt er das steif und förmlich. „Ich hab meine Sachen gepackt, meine Taschenmesser und einen Strick für alle Fälle.“ Wieder lächelt er dabei. Anders scheint er diese schmerzhafte Erinnerung nicht auszuhalten.
Der Kontakt zu seinen Kindern sei mit der Zeit abgebrochen. „Die haben keinen Grund, auf mich stolz zu sein. Und es ist auch zu viel zwischen uns passiert.“ Er war mal Lehrer, dann Vertreter für Hörgeräte mit richtig viel Geld.
Inzwischen arbeitet er sich zurück in’s Leben. Die Kirchengemeinde neben dem Discounter ist ihm zu einer großen Stütze geworden. „Ich habe gelesen, dass sich Gott uns Menschen durch andere Menschen bekannt macht. Das habe ich selbst erlebt. Und inzwischen helfe ich bei der Tafel.“ Als er das sagt, ist sein Lächeln anders. Gelöst.
Auch sie lebt von der Sozialhilfe. Sie hat ihre Armut selbst gewählt. Einen gut bezahlten Job in Österreich hat sie ausgeschlagen. Sie pflegt jetzt ihre Eltern. Ihr Vater ist dement, ihrer Mutter geht es immer weniger gut, sie hat Parkinson. Ihr selbst geht es nicht gut. Sie hadert heute auch mit ihrer Entscheidung. „Man merkt schon mit der Zeit, wie einem langsam die Kräfte schwinden.“ Und sie hat sich nicht vorstellen können, dass man sich keine Karte mehr kaufen kann für den Bus oder Zug.
Besonders schwierig sei die Beziehung zu Leuten, die einen kennen. Oder schlimmer noch: die einem nahe standen. Freunde seien sowieso nicht mehr viele da. Vonwegen mit in’s Konzert gehen. „Und immer sagen, man geht nicht mit in’s Cafe ist auch irgendwann blöd.“ Das mache schon auch ein stückweit depressiv. Sagt sie. Andererseits: Jetzt aufhören, das ist für sie nicht drin. „Nee, das geht nicht. Meine Eltern lasse ich nicht allein.“ Sie hat sich vorgenommen da zu sein, bis ihre Eltern die Augen schließen.
Einen Ort für sich hat sie noch nicht gefunden. Einen Ort, wo sich nicht alles um Geld dreht. Wo sie einfach sein kann, wie sie ist. Sie wartet noch darauf, dass sie in ihrem Leben das erlebt, das Armut nicht etwas ist, für das man sich schämen muss. „Aber bei uns geht es nicht zu, wie in der Bibel“, sagt sie bitter. Ohne Geld wird es schwierig.
Friedhelm Schrader